Varianten in der Malerei


Kunstgedanken

Malerei   Es gibt viele Möglichkeiten, ein Bild zu gestalten, wobei zwei Varianten dem Kunstbetrachter am leichtesten auffallen.

Die erste ist die konkrete, realistische Variante – im Sinne einer wirklichkeitsgetreuen oder -nahen Abbildung. Heute oft von Hobbymalern oder abstrahierend von Künstlern der Naiven Malerei verwendet. Klassische Beispiele sind jedoch die alten Meister wie Leonardo da Vinci, Tizian, Michelangelo und Albrecht Dürer.

Zu den – bedeutenden – Abschweifungen kann man im weiteren Sinne (weil gegenstandsbezogen) beispielsweise den Impressionismus (Claude Monet, Édouard Manet) zählen, den Realismus (Gustave Courbet, Jean-François Millet, Adolph von Menzel), den Surrealismus (Salvador Dalí, Frida Kahlo) und die Popart mit ihren fotorealistischen Merkmalen (Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, Andy Warhol).

Die zweite Variante ist die abstrakte Malerei. In der Neuzeit tauchte sie fast parallel zu der sich immer weiter verbreitenden Fotografie auf, im Wesentlichen zur Zeit des Wechsels vom 19. zum 20. Jahrhundert. Mit den Mitteln der abstrakten Kunst eröffnen sich buchstäblich neue Perspektiven. Wurde bisher hauptsächlich die äußere wahrnehmbare Welt – Menschen, Tiere, Gebäude und Landschaften – in einer wie auch immer gearteten realitätsnahen Form abgebildet, kann man sich nun einfach von der Gegenständlichkeit lösen. Anstelle der Außenwelt lässt sich eine abstrakte, nicht gegenständlich sichtbare Innenwelt abbilden.

Eine neue Ebene, die nicht nur für den Künstler eine Herausforderung darstellt, sondern auch der Sehgewohnheit vieler Betrachter zuwiderläuft. Die Fragen danach, was zu erkennen ist und was der Künstler eigentlich ausdrücken möchte, erfordern die Auseinandersetzung mit dem Fremden. Gegen die erste Ratlosigkeit hilft Reflexion, denn sonst bleibt abstrakte Kunst für viele kaum verständlich.

Glücklicherweise lassen aber gerade abstrakte Bilder viel Raum für die eigene Fantasie, laden ein zum Entdecken und freien Assoziieren. So können beispielsweise Formen und Farben Bedeutungen zugeschrieben werden. Damit wird die abstrakte Malerei zu einem geeigneten Mittel, eine Innenwelt – dazu gehören unter anderem neben dem bewussten Erleben auch Träume, Befindlichkeiten und unser Unbewusstes – auszudrücken, sowohl für den Maler als auch für den Betrachter. Letztendlich können wir mit Hilfe der abstrakten Kunst an Freiheit gewinnen, indem wir die Wirklichkeit, unsere Umwelt, aus neuen Perspektiven wahrnehmen und eingefahrene Wahrnehmungs- und Interpretationsgewohnheiten prüfend überschauen.

In der abstrakten Malerei der Moderne versammeln sich verschiedene Stilrichtungen. Am Anfang der Entwicklung standen zum Beispiel der Expressionismus (Wassily Kandinsky) und der Kubismus (Pablo Picasso, Georges Braque), später bis hin zum abstrakten Expressionismus eines Cy Twombly, Jackson Pollock und Willem de Kooning.

Oft hat man es dort mit gewaltigen Werken zu tun, mit überfrachteten gegenstandslosen Formen und intensiven Farben. Sie können aber auch sehr minimalistisch daherkommen, und auch hier sollten einige gekonnte Striche eine starke Aussagekraft besitzen. Diese Variante wird nicht selten mit der Bemerkung: „da ist ja nichts drauf!“ unterschätzt.

Sagt beispielsweise ein völlig überladenes Bild trotz allem wenig aus, aber ein anderes Werk bringt mit einem einzigen Strich in Vollendung etwas zum Ausdruck, das einen (im guten Sinne) völlig gefangen nimmt, dann hat letzteres überzeugt.

Kunst ist also das Ergebnis von Können – gleich ob in der konkreten, gegenständlichen Malerei oder in der abstrakten Bildgestaltung –, wenn eine Botschaft vom Werk ausgeht. Die kann sowohl etwas Schockierendes, Hässliches, Abstoßendes als auch etwas Schönes, Fantasievolles, Zartes oder Gewaltiges sein. gk/kj


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